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[Luxembourg 2005 Presidency of the Council of the European Union]
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Interview
Minister Delegate of Foreign Affairs and Immigration Nicolas Schmit on the Programme of the Presidency of the Council of the EU

Interviewee : Nicolas Schmit

Interviewer : forum, forum

Date of Interview : 01-01-2005

Policy area : General Affairs and External Relations


In an interview with the Luxembourg monthly "forum", Nicolas Schmit, Ministre Delegate of Foreign Affaires and Immigration talks about the Programme of the Presidency of the Council of the European Union and the Major Issues of the Luxembourg Presidency.


forum: Wenn es um die großen Themen der luxemburgischen Präsidentschaft geht, werden immer die folgenden Punkte genannt: Festlegung des Finanzrahmens der Union, Reform des Stabilitätspaktes, Neuausrichtung des Lissabonprozesses, Begleitung der Verfassungs-Referenden. Wo kann Luxemburg selber Prioritäten setzen?

Nicolas Schmit: Es gibt viele Themen, in denen Europa in Bewegung ist und wo die luxemburgische Regierung die Dossiers weitertragen muss. Ein Beispiel ist die sogenannte "Bolkestein-Richtlinie" zur Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Wir spüren große Widerstände gegen diese Richtlinie bzw. gegen bestimmte Aspekte dieses Textes. Sie behandelt alle Bereiche der Dienstleistungen, auch die sozialen Dienste. Möglicherweise sollte man aber die Direktive auf "service marchandes" reduzieren und für Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung einen anderen Ansatz wählen. Im Hinblick auf Teile des öffentlichen Dienstes muss dieser Text dann neu konzipiert werden. Der damalige Kommissar Bolkestein ist ein lupenreiner Liberaler und er hatte einen allumfassenden Ansatz gehabt für Bereiche, die in unseren Augen jedoch weder gleichwertig sind noch auf die gleiche Weise geregelt werden können.

Ein zweites Beispiel eines konfliktträchtigen Dossiers, über das relativ wenig diskutiert wird, ist die "REACH"-Verordnung zu den Produkten der Chemieindustrie. Es handelt sich dabei um ein sehr komplexes Dossier, bei dem es um Sicherheit, Gesundheit und Verbraucherschutz geht aber auch um die Zukunft unserer chemischen Industrie. Können wir unserer Industrie Produkte verbieten, die aber sonst auf dem Weltmarkt frei erhältlich sind und unseren Markt schließen für Stoffe, die in vielen Produkten enthalten sind, die von außerhalb der EU kommen? Dieses komplizierte Dossier wird unter der luxemburgischen Präsidentschaft ein wichtiges Thema sein.

Die Liberalisierung im Transportbereich ist auch noch nicht abgeschlossen, denn im Schienenverkehr steht noch die Regelung der Personenbeförderung aus, der wir uns zuwenden müssen. Wieweit muss hier den Anforderungen des "Service public" Rechnung getragen werden? Die Besonderheit kleiner Eisenbahnnetze kann nicht einfach ignoriert werden.

Und als weiteres Beispiel sei die Immigrationspolitik genannt. Das jetzt beschlossene Programm von Den Haag zielt unter anderem auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik für das Jahr 2010. Fünf Jahre sind nicht viel Zeit und man muss relativ schnell mit der Arbeit beginnen. Während unserer Präsidentschaft wird auf der Basis des Programms von Den Haag ein Aktionsprogramm beschlossen.

forum: Diese Themen werden Ihnen vom europäischen Agenda aufgezwungen?

Nicolas Schmit: Ja, seit der irischen Präsidentschaft steht die Agenda praktisch fest und wird abgearbeitet. Die Zeiten, wo jede Präsidentschaft ihr Lieblingsthema in den Vordergrund rücken konnte, sind vorbei.

forum: Sie können also keine Prioritäten setzen?

Nicolas Schmit: Nein, offiziell können wir eigentlich keine Prioritäten setzen. Wir arbeiten auf der Basis eines gemeinsamen Programms von fünf Präsidentschaften. Noch unter italienischer Präsidentschaft haben Irland, Niederlande, Luxemburg, Großbritannien und Finnland dieses gemeinsame Programm festgelegt. Damit organisiert die Präsidentschaft nur noch die Arbeit, d.h. sie übernimmt die Dossiers von ihren Vorgängern und arbeitet entsprechend der Ziele, die auch vom Europäischen Rat, also den Regierungschefs, und der Kommission festgelegt wurden. Es ist ihr nicht mehr überlassen, die Themen zu setzen. Der Handlungsspielraum einer Präsidentschaft ist relativ eingeengt.

Natürlich könnte man ein Dossier ein wenig mehr als ein anderes fördern. Aber wir können nicht sagen, dass ein bestimmtes Dossier uns nicht interessiert. Wir verhandeln jetzt schon mit den Briten, bei welchen Dossiers wir zu einem Abschluss kommen können und bei welchen die Briten werden übernehmen müssen.

forum: Ist die Luxemburger Regierung also auch während der Präsidentschaft eher Passagier auf dem Schiff als Steuermann? Andererseits sagen Sie, dass man gewisse Dossiers bevorzugt behandeln kann, d.h. doch auch andere weniger hoch auf die Agenda setzt. Die italienische Präsidentschaft hatte etwa die Einwanderungs- und Asylproblematik stark in den Vordergrund gerückt.

Nicolas Schmit: Abgesehen von den großen Dossiers, denen man sich nicht entziehen kann und das natürlich auch nicht will, da es hier um Glaubwürdigkeit geht, gibt es natürlich Dossiers an die man etwas reservierter herangeht. Wir sagen zum Beispiel nicht, dass wir die Dienstleistungsverordnung/richtlinie während unserer Präsidentschaft abschließen wollen. Da schaut man, was insgesamt konsensfähig ist und in welche Richtung man mit diesem Text gehen kann. Daran wollen wir also mit einem vorsichtigen Ansatz herangehen. Bei REACH verhält sich das ähnlich. Da muss man noch auf Analysen und Impaktstudien warten, und schauen wie die Diskussion weiterverläuft.

Auch im Transportbereich möchten wir eigentlich nicht, dass die nächste Etappe der Liberalisierung impulsiv angegangen wird. Stattdessen wollen wir darauf drängen, dass zuerst die beiden vorangegangenen Etappen evaluiert werden. Umgekehrt gibt es im Bereich der Justizzusammenarbeit ein Dossier, in dem wir relativ schnell vorankommen möchten, auch weil wir glauben, hier die Mittel zu haben, um das Dossier zu orientieren. Es geht um die automatische Anerkennung von Beweisen, die in einem anderen EU-Land etabliert wurden.

forum: Es besteht also tatsächlich ein gewisser Handlungsspielraum Doch die Themen werden einem gegeben, und die Kurskorrekturen können allerhöchstens marginal sein. Das Schiff, von dem Sie eben sprachen, ist ein großer Tanker!

Nicolas Schmit: In der öffentlichen Debatte wird die EU zusehends als Speerspitze neoliberaler Reformen wahrgenommen. Auch die Diskussion um die EU-Verfassung wird teilweise durch diesen Vorwurf bestimmt. Hat Luxemburg vor, in den Bereichen der Arbeitsgesetzgebung Dossiers abzuschließen, bevor durch die dann folgende britische Präsidentschaft Stillstand zu erwarten ist?

Es ist klar, dass wir versuchen wollen, in sozialen Fragen etwas schneller voranzukommen. Doch auch dort muss man bedenken, dass am Ende die Entscheidungen im Rat getroffen werden. Wenn dort Blokaden bestehen, ist es auch für eine Präsidentschaft unmöglich, zu Ergebnissen zu kommen.

forum: Sie sehen also keine Möglichkeiten für Luxemburg im sozialen Bereich Initiativen zu ergreifen? Herr Juncker hatte das vor kurzem als Ziel angekündigt.

Nicolas Schmit: Initiativen können wir immer ergreifen. Aber wir können nur auf der Grundlage von Texten arbeiten, die die Kommission liefert. Die Präsidentschaft kann nicht Initiativen oder Texte von Direktiven vorlegen. Das ist Aufgabe der Kommission, die das Monopol zur Vorlage legislativer Texte besitzt. Die Präsidentschaft präsidiert und manövriert. Wir können jetzt nicht kommen und sagen: Das hier ist unser Vorschlag im sozialen Bereich etwa über den europäischen Arbeitsvertrag oder das europäische Mindesteinkommen. Da hat nur die Kommission das Initiativrecht.

Dabei gilt es tatsächlich dafür zu sorgen, dass das Soziale nicht zur Seite gedrängt wird und der Lissabonprozess auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verkürzt wird. Da hat die Présidence natürlich eine gewisse Marge, um zu sagen, wir hätten auch gerne das Soziale. Da muss man schauen, was die großen sozialen Fragen sind, wo Europa etwas mehr bringen kann, vielleicht durch eine gewisse Harmonisierung im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts. Aber das sind extrem komplizierte und harte Dossiers.

forum: Wurden die großen, angekündigten Gipfel (EU-USA, EU-Russland, EU-Japan, EU-China, usw.) von Luxemburg selber vorgeschlagen oder werden diese durch das Programm vorgegeben? Musste Luxemburg diese Pflichten erfüllen?

Nicolas Schmit: Diese Gipfel, die natürlich nicht alle in Luxemburg stattfinden, auch wenn sie unter unsere Präsidentschaft fallen, stehen alle in einer festen Terminabfolge, die uns den Rahmen gibt. Auch in dieser Hinsicht ist das Script schon festgeschrieben. Um ein noch Bild zu verwenden: Wir sind in gewisser Weise "Metteur en scène" in einem Stück - nicht "Comeddia dell Arte" aber ganz ernsthaftes, normales Theater, wo der Text vorgeschrieben ist.

forum: Im Koalitionsvertrag von CSV und LSAP steht, dass die Regierung ihre Position zur Aufnahme der Türkei im Lichte des Kommissionsberichtes festlegen wolle. Kann man daraus schließen, dass die lux. Regierung eigentlich keine eigene Position in dieser Frage hatte?

Nicolas Schmit: Natürlich haben wir dazu eine Position und der Außenminister wird sie auch vor dem Parlament darlegen. Mit der Türkei beginnen wir ja nicht bei Null, der Aufnahmeprozess wurde schon 1963 eingeleitet. Die letzte wichtige Etappe war 1999 in Kopenhagen, wo der Europäische Rat, d.h. unsere Regierungschefs, bestimmt haben, dass im Dezember 2004 auf Basis eines Berichtes der Kommission der Rat beschließen wird, ob Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen sind. Es geht also nicht mehr um das ob, sondern um das wann, um ein Datum. Diesem Engagement, bei dessen Zustandekommen auch Vertreter Luxemburgs mit am Tisch saßen, fühlen wir uns verpflichtet. Es ist Grundlage unserer Position.

Der Bericht und die Vorschläge der Kommission liegen jetzt vor. Das Ziel der weitestgehenden Integration der Türkei bleibt bestehen, aber es wird gleichzeitig gesagt, dass - sollte die Türkei nicht wirklich bereit oder fähig sein, diesen Weg zu gehen - andere Optionen der Integration gesucht werden müssen. Die Verhandlungen und Übergangsbestimmungen, z.B. bei der Freizügigkeit, werden lange Zeitspannen umfassen. Sie können jederzeit unterbrochen werden, falls sich in der Türkei Entwicklungen zeigen, die das Erreichen der Kopenhagener Kriterien hinsichtlich Menschenrechte und Demokratie in Frage stellen. Auf der Grundlage dieser Elemente sind wir der Auffassung, dass die Verhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden können, und zwar im kommenden Jahr.

forum: Sie weisen darauf hin, dass die Position Luxemburgs in dieser Frage durch den Beschluss des Rates schon vorgezeichnet war. Da stellt sich die Frage nach dem Abstimmungsverhalten Luxemburgs im Rat. Wenn kein eigenes Interesse berührt ist, stimmt Luxemburg dann in der Regel an der Seite Frankreichs ab? Gibt es Zahlen über das Abstimmungsverhalten Luxemburgs?

Nicolas Schmit: Vielleicht wäre es interessant, das nachzuvollziehen. Soweit ich mich erinnere, haben wir solche Statistiken nicht ausgearbeitet. Aber natürlich stimmen wir nicht immer an der Seite Frankreichs ab. Wenn es um die Liberalisierung des Transportwesens geht, stimmen wir mit Frankreich und Belgien, weil diese Länder eher einen vorsichtigen Ansatz in Bezug auf die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen haben. Auch im Sozialbereich stehen wir eher an der Seite Frankreichs und Belgien. Bei Regelungen, die sich auf die Finanzmärkte beziehen, haben wir eine liberalere Auffassung als Frankreich und stimmen etwa mit Großbritannien und gegen eine tendenziell protektionistische Politik. Auch im Bereich Medien und Fernsehen haben wir als europäischer Medienstandort natürlich eine liberalere Position. Wir prüfen also, wo unsere Interessen liegen.

Wenn Luxemburg eventuell keine eigenen Interessen zu vertreten hat - bon - dann muss man schauen. Wir versuchen dann mit der Gruppe zu stimmen, die uns bei einem anderen Dossier weiterhelfen kann. Es ist ja nicht so, dass es nie auf die Stimme Luxemburgs ankäme. Bei der Abstimmung um die Einhaltung des Stabilitätspaktes durch Frankreich und Deutschland vor wenigen Wochen, kam es tatsächlich auf die Stimme Luxemburgs an.

forum: Gehört die Arbeit, die das Außenministerium im Rahmen der EU macht, eigentlich noch zur Außenpolitik, oder handelt es sich eher um eine Form der erweiterten Innenpolitik?

Nicolas Schmit: Wenn wir etwa Sozialpolitik im Rahmen der EU machen, ist das tatsächlich Europapolitik im engen Sinne. Die Außenpolitik handelt demgegenüber von unseren Beziehungen zur Welt. Das kann auf bilateraler Ebene geschehen, zum Beispiel in unseren Beziehungen zu den Nachbarländern, oder auf multilateraler Ebene. Wir müssen uns beispielsweise eine Idee davon machen, wie wir unsere Beziehungen zu den USA gestalten. Diese Beziehungen besitzen bilaterale Aspekte, doch global sind unsere Beziehungen zu den USA in die Beziehungen der EU zu den USA eingebettet. Wir zum Beispiel wollen maximale Handelsfreiheit mit den USA, doch das liegt nicht in der Kompetenz Luxemburgs, das gestaltet die EU bilateral in Verhandlungen mit den USA oder im Rahmen der Welthandelsorganisation.

Auch in der Irakfrage müssen wir natürlich eine eigene, nationale außenpolitische Position finden, etwa dass wir an einem solchen Krieg nicht teilnehmen wollen. Doch sehr schnell müssen wir uns in die europäische Diskussion einbinden und eine europäische Position mitentwickeln - auch wenn das Europa gerade in dieser Frage nicht gelungen ist. Auch mit China haben wir natürlich bilaterale Beziehungen, etwa in Handelsfragen. Doch wesentlich ist heute die Frage der Aufhebung des europäischen Waffenembargos gegenüber China. Wir als Luxemburger müssen uns dazu äußern, auch wenn das kein luxemburgisches Embargo sondern ein europäisches ist. Die Frage wird unter luxemburgischer Präsidentschaft diskutiert und eventuell entschieden. Auch zum Nahen Osten haben wir eine eigene Position, die aber natürlich eine europäische Position ist. Die Dinge greifen also ineinander über. Am Anfang steht immer die Frage, inwieweit Luxemburg sich festlegen muss, danach wird das in einen europäischen Kontext übertragen.

forum: Im Koalitionsvertrag zwischen CSV und LSAP kommt unter dem Stichwort "Außenpolitik und Sicherheitspolitik" nur Sicherheitspolitik zur Sprache. Beschränkt sich hier die Außenpolitik auf Sicherheitspolitik?

Nicolas Schmit: Das mag unglücklich formuliert sein. In der Sicherheitspolitik haben wir strenggenommen zwei Pfeiler: Unsere Verpflichtungen im Rahmen der Nato und unsere steigenden Verpflichtungen beim Aufbau einer europäischen Verteidigungsidentität. Diese Pfeiler stehen zusammen und ergänzen sich. Wir sind Mitglied der NATO und müssen hier unsere Verpflichtungen erfüllen. Das hat natürlich Konsequenzen im Hinblick auf die luxemburgische Armee. Wir sind Mitglied der Europäischen Union und wollen mitwirken - auch operationenell - an der Entstehung und dem Ausbau der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist der Hintergrund für die Investitionen in die luxemburgische Armee und unsere Beteiligung in Friedensmissionen, die ja nur möglich sind, wenn die Mittel dazu bereitgestellt werden. Die großen Zielsetzungen sind politisch festgelegt und die Armee muss daraufhin ausgerichtet werden.

forum: In dieser Hinsicht hat es uns überrascht, dass im Koalitionsvertrag die Bedeutung der NATO in extenso erwähnt wird, jedoch OSZE und UN mit keiner Silbe Beachtung finden, obwohl diese Organisationen friedensfördernde und -erhaltende Alternativen zur NATO-Sicherheitspolitik darstellen und Luxemburg in beiden Fällen Gründungsmitglied ist.

Nicolas Schmit: Die EU wird erwähnt.

forum: UN und OSZE jedoch nicht. War das Bekenntnis von Außenminister Asselborn vor der UN-Generalversammlung zum Multilateralismus ein Lippenbekenntnis?

Nicolas Schmit: Sicher nicht! Die Europäer übernehmen jetzt die Mission in Bosnien von der UN. Die Nato hatte ursprünglich die Truppen gestellt, jetzt wird diese Mission von der Europäischen Union übernommen, wobei das im Geist des Multilateralismus und unter der Aufsicht der UN stattfindet. Die Dinge greifen ineinander. Auch wenn in der EU-Verfassung von der friedenserhaltenden Mission der Europäer die Rede ist, wird auf die UN verwiesen. Europa will nicht die Tradition der Kanonenbootpolitik des 19. Jahrhunderts wiederbeleben, sondern hauptsächlich "Peacekeeping"-Missionen unternehmen, wenn die UN dahintersteht.

Ein Beispiel ist der Konflikt im Kongo, wo der Generalsekretär der UN an die EU die Bitte gestellt hat eine Polizeimission zu entsenden. Luxemburg hat sich hier zwar militärisch nicht beteiligt, aber zur Finanzierung beigetragen. Es gibt eine klare Verbindung zwischen diesen Organisationen. Wir sind für eine starke UN, damit sich Situationen wie im Zusammenhang mit dem Irakkrieg nicht wiederholen.

forum: Außenpolitik hat auch etwas mit Symbolik zu tun. Hat Luxemburg eine Position gegenüber der Genfer Initiative zur Lösung des Nahostkonfliktes eingenommen, die mittlerweile von nahezu 30 Regierungen offiziell unterstützt wird?

Nicolas Schmit: Natürlich. Symbole sind in der Außenpolitik, wie allgemein im Leben, von großer Bedeutung. Die Genfer Initiative, die eigentlich eine Privatinitiative ist, wird auch als Privatinitiative von der Luxemburger Regierung politisch und finanziell unterstützt. Die beiden Autoren sind nach Luxemburg zu einer Konferenz eingeladen worden und wir werden auch eine weitere Initiative in diesem Zusammenhang unterstützen. Überhaupt kann man jetzt hoffen, dass es in der Frage des Nahostfriedensprozesses zu einer neuen Dynamik kommt. Die Roadmap und der eher kurzfristig angelegte Solana -Plan sind dafür unsere Grundlage. Die Besonderheit der Genfer Initiative ist, dass sie eine globale Lösung aller Fragen anpeilt inklusive einer Lösung für den Status von Jerusalem und die Rückkehr der Flüchtlinge. Die Erwartungen, dass der Friedensprozess jetzt wiederbelebt werden kann, sind hoch! Die EU muss dazu beitragen.

forum: Wo und auf welcher Ebene werden solche Entscheidungen getroffen?

Nicolas Schmit: Das Außenministerium hat schon seine Autonomie. Im Hinblick auf die Genfer Initiative war die Diskussion noch unter Außenministerin Polfer im wesentlichen hier im Außenministerium geführt worden und dann in den Regierungsrat getragen worden. In einer solchen Frage ist die gesamte Regierung betroffen. Jede Entscheidung die einen wichtigen außenpolitischen Charakter hat, wird im Regierungsrat erwähnt, diskutiert und auch zum Beschluss gebracht.

forum: Gibt es Denktraditionen oder Konstanten der luxemburgischen Außenpolitik und sind diese irgendwo formuliert?

Nicolas Schmit: Ich denke schon, dass man bei der Bechäftigung mit der luxemburgischen Außenpolitik gewisse Konstanten herausfindet. Es ist ja nicht so, dass wir bei allen Regierungswechseln eine völlig neue Außenpolitik entwerfen müssten. Das wäre ja nicht glaubwürdig. Andererseits haben wir nicht die Mittel, um große "Think tanks" zu finanzieren, die uns jedes Jahr ein paar Dutzend Berichte schreiben. Wir haben vorhin eine Reihe Prinzipien erwähnt, wie z.B. den Multilateralismus, der nicht von der jetzigen Regierung erfunden wurde, sondern eine Konstante unserer Außenpolitik ist. Eine andere Konstante ist unsere Europapolitik, die darauf zielt, dass Luxemburg ein vollwertiges Mitglied bleibt. Es darf keinen Bereich geben, aus dem sich Luxemburg definitiv verabschiedet, d.h. also auch im Bereich der Verteidigungspolitik wollen wir vollwertig teilhaben im Rahmen der Möglichkeiten, die wir realistischerweise leisten können. Die nächste Konstante ist unsere Treue gegenüber der transatlantischen Allianz, zu der auch die NATO gehört. Wir sind in diesem Zusammenhang der Überzeugung, dass trotz zeitweiser Meinungsverschiedenheiten die Allianz zwischen Europa und Amerika ein wesentliches Element der globalen Stabilität ist. An diese allgemeinen Prinzipien hält man sich, wenn man Verantwortung trägt für die Außenpolitik Luxemburgs.

forum: Gibt es Strategien, die sich für Luxemburg besonders effizient erwiesen haben und immer wieder zur Anwendung kommen?

Nicolas Schmit: Methoden und Strategien sind tatsächlich abhängig von den Mitteln, über die wir als kleines Land verfügen. Anders als große Länder können wir etwa in der Europapolitik und selbst in Fragen, in denen Einstimmigkeit verlangt ist, nicht einfach blockieren. Selbst in der Fiskalpolitik können wir nie definitiv Nein sagen, sondern müssen uns aktiv an der Suche nach einer Lösung beteiligen, die auch unser Interesse berücksichtigt. Das ist ja auch im Bereich der Zinsbesteuerung geschehen.

forum: Eine Konstante der luxemburgischen Außenpolitik der letzten Jahre war die vorausschauende Pflege der Beziehungen zu den neuen Mitgliedsstaaten der EU durch den Premierminister. Eine Vielzahl von Besuchen und Kontakten hat hier Grundlagen geschaffen. Steht hinter dieser Politik ein Konzept, das irgendwo formuliert ist, oder handelt es sich dabei um einen persönlichen Stil des Premierministers, der sozusagen aus dem Bauch heraus die Beziehungen zur europäischen und internationalen Welt pflegt?

Nicolas Schmit: Beides. Außenpolitik hat viel mit persönlichen Beziehungen zu tun. Wenn es gelingt persönliche Beziehungen aufzubauen, kann man auch anders über Probleme diskutieren. Es ist eines der großen Verdienste von Herrn Juncker, diese Beziehungen entwickelt zu haben und als Vertreter des zweitkleinsten Landes der EU als vollwertiger Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Die persönlichen Beziehungen zu Jacques Chirac und Gerhard Schröder, davor zu ihren Vorgängern, sind für ein kleines Land von größter Bedeutung. Gerade in der erweiterten Union, wo es eine ganze Reihe kleiner Staaten gibt, möchten wir unsere spezielle Funktion bewahren, die wir ja schon zu Zeiten Herrn Werners inne hatten. Luxemburg soll ein wichtiger Mitspieler bleiben. Gegenüber den neuen Mitgliedsstaaten, die Unterstützung und Orientierung in der Union suchen, kann Luxemburg eine wichtige Rolle spielen – gerade weil es kaum in den Verdacht gerät, wie Frankreich oder Deutschland Dominanz ausüben zu wollen.

forum: Ihre Biographie ist die eines Beamten und Diplomaten, nicht die eines Politikers. Wie sehen Sie heute den Unterschied in den Rollen? Haben Sie als politisch Verantwortlicher mehr Einfluss?

Nicolas Schmit: Natürlich. Ich war ja nicht Bittsteller, um delegierter Außenminister zu werden. Wenn ich den Posten angenommen habe, dann aus der Hoffnung heraus Einfluss auszuüben. In den wichtigen Dossiers ist man natürlich in eine kollektive Verantwortung eingebunden auch in Zusammenarbeit mit den Beamten. Trotzdem denke ich nicht, dass der Politiker nur in der Vitrine steht und für die Medien schön reden soll. Er ist in den Entscheidungsprozess eingebunden!

forum: Wo würden Sie konkret Einfluss nehmen wollen?

Nicolas Schmit: In der Immigrationspolitik. Dort habe ich eine Equipe vorgefunden, die gute Arbeit gemacht hat, doch auf der Basis des Koalitionsvertrages und in der Zusammenarbeit mit Herrn Asselborn möchte ich eigene politische Orientierungen festlegen und umsetzen.

forum: Gibt es für Sie im Bereich der internationalen Beziehungen einen Unterschied zwischen Diplomatie und Politik?

Nicolas Schmit: Bei der Politik geht es um die Festlegung der Ziele. Die Diplomatie ist der Weg dahin, eine Methode beziehungsweise der Rahmen, um an die Probleme heranzugehen. Diplomaten können keine politischen Probleme lösen, bzw. nur wenn sie wissen, wo sie politisch hinsteuern sollen.

forum: Es bleibt die Frage, wohin der Politiker Nicolas Schmit im Zusammenhang mit der Europäischen Union möchte? Sollte Luxemburg die Entstehung eines "Kerneuropas" fördern oder nicht?

Nicolas Schmit: Das ist eine politische Frage, auf die ich Ihnen heute noch keine definitive Antwort geben kann, da ich mir noch nicht im klaren bin, ob wir ein Kerneuropa eines Tages brauchen werden. Bisher glaube ich noch daran, dass wir in der Lage sind, eine erweiterte Union handlungsfähig zu halten und die fundamentalen Ziele der europäischen Integration weiterzuverfolgen.

Unser politisches Ziel ist es, Europa so zu gestalten, dass es nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch zusammenhält. Nur ich bin kein Hellseher und weiss nicht, ob dieses Ziel in einer noch weiter gewachsenen EU realistisch bleibt. Wenn sich diese Frage eines Tages stellen sollte, stellt sich natürlich die Frage nach den Alternativen. Dann würde ich nicht wünschen, dass wir das Ganze einfach bei einem großen europäischen Binnenmarkt lassen, sondern etwas Stärkeres fordern. Dann würde ich für die Option Kerneuropa plädieren.


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